Grenzen der Gemeindeautonomie


    Kolumne


    Hanspeter Hilfiker, Aarauer Stadtpräsident

    Mit dem Ausstieg von Oberentfelden aus dem Projekt «Zukunftsraum» wird es kurzfristig keine grössere Fusion von Gemeinden in der Region Aarau geben. Natürlich wurde darüber spekuliert, was wohl den Ausschlag für die Ablehnung des Projektes v.a. in Oberentfelden gegeben hat. Von der tiefen Stimmbeteiligung und der entsprechend schlechten Mobilisierung der Befürwortenden war die Rede, von den zu wenig klar widersprochenen, zum Teil recht abstrusen Behauptungen der Gegner, v.a. aber von der unterschätzten Bedeutung der Autonomie der Gemeinden als demokratische Urzelle unserer Gemeinwesen.

    Tatsächlich waren mit Aarau, Suhr, Ober- und Unterentfelden Gemeinden im Projekt Zukunftsraum beteiligt, die keinem unmittelbaren Zwang zu einer Fusion unterliegen, beispielsweise weil sie ihre Ämter nicht mehr besetzen oder ihre Infrastrukturen nicht mehr finanzieren können. Es lohnt sich dennoch die Frage, wie autonom Gemeinden heute effektiv sind, und ob die aktuellen Formen der Zusammenarbeit tatsächlich so gut funktionieren.

    Ich sehe drei wesentliche Punkte, welche die Gemeindeautonomie auch für Aarau substantiell einschränken:
    Gemeindeverbände: Sie sind seit vielen Jahren die zentrale Institution für regionale Zusammenarbeit. In Gemeindeverbänden werden Abwasser- oder Kehrichtentsorgung organisiert, aber auch regionale Schiessanlagen oder Kreisschulen. Grundsätzlich funktionieren sie bestens. Besonders demokratisch sind sie aber nicht. Es handelt sich meist um Gremien, die von den Gemeindeexekutiven bestellt sind, die eigenständig über ihre Budgets beschliessen, die dann – meist praktisch unkommentiert – in den «grossen» Budgets der Einwohnergemeinden als «gebundene Ausgaben» aufscheinen. Ausnahmen bilden Kreisschulen, deren Budgets über einen demokratisch legitimierten Kreisschulrat verabschiedet werden, allerdings ohne Steuerungsmöglichkeit durch die Gemeindeversammlungen oder die Einwohnerräte.
    Verwaltungsleistungen: Die Anforderungen an die Verwaltungsleistungen der Gemeinden steigen laufend. Besonders herausfordernd sind – auch für grössere Gemeinden mit 5000, 10.000 oder 20.000 Einwohnern – die Anforderungen im Bau- und im Sozialbereich. Gesetzesanpassungen, hohe Fall- und Gesuchszahlen sowie die Vielfalt an spezifischen Leistungsbereichen stellen höchste Anforderungen an die Ämter. Häufig liegen die Fachkompetenzen bei einzelnen Personen, was bei deren Ausfall grössere Probleme verursachen kann.
    Regionale Infrastrukturen: Gerade Agglomeration in der Grössenordnung von Aarau, Baden oder Zofingen benötigen in der Kultur oder im Sport nicht verschiedene, sondern pro Disziplin eine, wenn möglich gut gelegene Anlage. Traditionell stehen diese Anlagen in der Zentrumsgemeinde, etwa Theater, Kunsteisbahn, Sportstadion oder Konzerthaus. Meist finanziert die Zentrumsgemeinde denn auch den grossen Teil dieser Infrastrukturen. Sowohl im Lichte der steigenden Freizeitbedürfnisse als auch angesichts der baulichen Anforderungen, die immer höher werden, wird es künftig auch grösseren Gemeinden wie Aarau nicht mehr möglich sein, regionale Anlagen einfach mehrheitlich selbst zu bezahlen. Dass die Zusammenarbeit bei der Finanzierung von Anlagen aufwendig ist, zeigt aktuell das eigentlich kleine Traglufthallenprojekt in Suhr (Investition von 3.5 Mio. Fr.), das zu Abstimmungen mit gut 15 Gemeinden führt, wobei verschiedene Gemeinden ihren Beitrag bereits abgelehnt haben.

    Mein Fazit bleibt: Gemeindeautonomie ist eine gute Sache. Es wäre aber wichtig, dass sich die Gemeinden mit ihren Exekutiven vermehrt darüber Rechenschaft ablegen, welches Gewicht diese Autonomie heute tatsächlich noch hat. Mit einer grösseren Fusion könnte die Gemeindeautonomie effektiv gestärkt werden: Durch die Rückführung von Gemeindeverbandslösungen in die Gemeindebudgets, durch die Konzentration von Kompetenzen in genügend grossen Fachbereichen oder durch die breitere Gemeindinterne Finanzierung regionaler Anlagen.

    Ich hoffe, dass dieser Erkenntnisprozess – trotz dem Nein zum Zukunftsraum – auch in unserer Region langsam in Gang kommt.

    Hanspeter Hilfiker,
    Aarauer Stadtpräsident

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